Unstillbarer Hunger beschreibt unkontrollierbare Gier. Hier ist es nicht nur die nach Nahrung, auch wenn sie in der Zeit der Entbehrungen und der Armut das Zentrum des Denkens und Fühlens ist. Es ist das Verlangen, das durch nichts gestillt wird, gleich wieviel man davon bekommt. Heinrich Wolff lernt das auf die härtest mögliche Weise, indem er getötet wird. Gerissen stimmt vielleicht sogar eher. Dennoch kommt er zurück und leidet fortan an derselben Gier.
“Er schaute zur Treppe zurück. Sollte er doch den Versuch wagen? Aber dazu musste er in den Keller. Er befeuchtete nervös die Lippen und fuhr sich mit einem Finger unter dem Hutband entlang. Im Untergeschoss war er diesem Wesen ausgeliefert, sollte es ihn erwischen. Es gab so gut wie keine Fluchtmöglichkeiten. “
Zitat: Unstillbarer Hunger – Prolog / 23.12.1916
Aus dem – bislang aus Kurzgeschichten bestehenden – Konstrukt um Heinrich Wolff ist eine düstere Geschichte geworden. Nicht nur der Inhalt ist finster, auch die Zeit, in der sie angesiedelt ist. Unstillbarer Hunger beginnt 1916 und endet 1918. Hier ein kurzer Einblick:
“Heinrich ist kein Held, im Gegenteil. Er ist Pazifist und verweigert sich gegen den Kriegsdienst. Als er Zeuge eines bestialischen Mordes wird, gerät er in den Fokus zweier unnatürlicher Jäger und wird selbst zum Opfer. Schwer entstellt und voller Hunger kehrt er von den Toten zurück. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als seinen Liebhaber Konrad in den Krieg zu folgen, in der Hoffnung zu fallen. Allerdings lassen seine neugewonnenen Instinkte nicht zu, dass er stirbt. So rettet er sein Bataillon von einer Schlacht zur anderen.
Im Sommer 1918 kehren Heinrich und Konrad in ein ausgehungertes, kriegsmüdes Mainz zurück. Die Stadt wird von einem Kindesentführer und -mörder heimgesucht. Heinrich denkt unweigerlich an seine beiden Mörder und will sich an den damals ermittelnden Kommissar wenden, der jedoch im Krieg gefallen ist. Der vom Leid und Hunger geplagte Hilfskommissar schenkt ihm keine Beachtung. Dafür die sechszehnjährige Anni, bei deren Familie Heinrich und Konrad nach der Rückkehr untergekommen sind.”
Mit dieser Geschichte bin ich beim Wettbewerb für das PAN-Stipendium2022 nominiert worden und auf die Shortlist gekommen.
Mit “Der Misanthrop” begann die Geschichte um Heinrich, auch wenn ich ihm damals keinen Namen zugestanden hatte. Die Kurzgeschichte spielt 2012.
In der zweiten Gesichte “Hunger” (bereits eine Novelle) erzähle ich die Geschichte, wie er zu einem Jäger wird. Mainz, 1916 – der Hungerwinter, auch Steckrübenwinter genannt – in dem die Armut die Bevölkerung in den großen Städten bereits in die Knie gezwungen hat. Hier erlebt der Leser Wolff lebendig und als einen nachdenklichen, jungen Mann, der sich weigert, in den Krieg zu ziehen. Wolff ist ein Kommunist und Anhänger von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Er kann sich nicht vorstellen, zu töten. Damit gerät er in den Fokus des “Lanzers”.
In der dritten Geschichte “Warte, warte nur ein Weilchen …” ist Wolff bereits ein Jäger, entstellt, weil er den Kampf gegen den Lanzer überstanden hat – richtiger, weil er ins Leben zurückgekehrt ist. Von seiner einstigen Schönheit ist (natürlich) rein gar nichts zurückgeblieben. Zerbissen, wie nach einem Angriff von einem Raubtier, vernarbt durch tiefe Schnitte in Gesicht und Körper, aber zäher denn je. Er hat gelernt zu kämpfen und zu töten. Trotzdem ändert sich seine Einstellung gegen den Krieg nicht.
Es geht auf das Ende des 1. Weltkrieges zu und er kommt zusammen mit einem Geliebten Konrad von der Front zurück. Sie sind beide als Soldaten ausgezeichnet worden und Konrad ist versehrt. Aber zurück in Mainz finden sie keinen Frieden. Ein neuer Jäger wildert im Kästrich und bedrängt Anni, die Tochter der Familie, bei der die beiden Männer zur Untermiete wohnen. Wolff fühlt sich an den Hungerwinter zurückerinnert. Aber dieses Mal haben sie es mit einem Jäger zu tun, der sich bestens tarnen und verstecken kann, jemand, der aus seinem Bau heraus jagt und Kinder bevorzugt …
Eine Fortsetzung, die direkt an “Hunger” anschließt, ist in Arbeit und hat den Arbeitstitel “Lazarus”.
Für Julianes Anthologie “Like a bad Dream” erschienen 2019, habe ich eine weitere Geschichte um Wolff, Konrad und Anni geschrieben, die noch einmal den letzten Kriegssommer 2018 aufgreift, die Rückkehr aus den Schützengräben in ein normales Leben, aber auch den Horror im Grabenkrieg, als die Entente im April 1917 bei Arras die Siegfriedstellung angreift. Diese Geschichte heißt “Bestie”. Dieses Mal ist es Konrad, der mit diesem Leben nicht mehr klar kommt. Auf dem Feld ist Wolff für ihn erträglich, weil es kaum unversehrte Männer gibt, aber zu Hause, im vertrauten Umfeld, erträgt er seinen entstellten Gefährten nicht mehr. Seine Abscheu erreicht einen neuen Höhepunkt, der sich grausam zu entladen droht …
“Heinrich war eine Bestie und der Krieg seine Tafel.”
Zitat, Bestie
2021 erschien die Geschichte “Staub” in der Anthologie “When skies are falling” im Tagträumer-Verlag. Protagonisten sind Wolff und Käthe, eine alternde Ordensschwester. diese Geschichte spielt wieder 1917 im April, auf einem Bauernhof nahe Arras, der zu einem Lazarett umfunktioniert wurde. Käthe wird bei einem Treffer zusammen mit Wolff in dem Keller verschüttet. Beide müssen sich ihren Ängsten stellen und finden dabei die Monster in sich, aber auch Halt in dem jeweils anderen. Besonders Wolff fürchtet Keller, schließlich ist er in einem ermordet worden.
“Aus dem Augenwinkel bemerkte sie ein Blitzen. Einen Moment später explodierte eine gewaltige Flammenlohe. Dann rollte ein Beben durch den Boden, sodass die Fensterläden gegen die Wand schlugen und Scheiben barsten. Käthe schrie. Sie wurde von den Füßen gehoben. Am Rande ihrer Wahrnehmung bemerkte sie, dass die Druckwelle sie gegen den Gefreiten schleuderte. Er hielt sie, duckte sich mit ihr in den Dreck. Ein Wort, vielleicht ein Name, kam über seine Lippen. Mühsam befreite sie sich und rang nach Luft. Erst jetzt bemerkte sie das rote Flackern in dicken, fettig schwarzen Wolken. Der Himmel brannte. Käthe stockte der Atem.
Eine weitere Druckwelle lief durch den Boden und sprengte Erde, Geröll, Stein und Holz weit in die Luft. Grauer Nebel, in dem Asche rot glühte, legte sich über sie. Käthe schnappte nach Luft und hustete.”
Zitat, Staub
Der Misanthrop – Kalt glimmen die Sterne, Sphera Verlag
Hunger – Zusammen finden, Benefizanthologie
Warte, warte nur ein Weilchen – Mittendrin und Nirgendwo, Benefizanthologie
Bestie – Like a bad Dream, Benefizanthologie
Staub – When skies are falling, Antoligie
In einem Atemzug – Urban Fantasy going Queer, Anthologie